Kriminalität und Heroinkonsum
Hallo alle zusammen! Ja, Kriminalität und Heroinkonsum gehören zusammen. Wenn ich Heroin konsumiere, bin ich schon deshalb kriminell. weil zwar der Konsum erlaubt, aber nicht Erwerb und Besitz. Ich muss aber erwerben um zu konsumieren, denn es kommt ja nicht auf Zuruf angeflogen. Ich muss es ja von irgend wem kaufen. Das ist dann der Erwerb. Wenn ich es erworben habe, dann besitze ich es und bin schon wieder straffällig. Dies ist aber nur der eine Teil der Kriminalität. Der andere Teil ist, wo kommt denn das ganze Geld für den Erwerb her. Genau diese Frage habe ich mir so oft während meiner aktiven Suchtzeitspanne stellen müssen. Denn immerhin sind das mal mindestens 50 Euro, in der Regel aber mehr oder wenn Crack auch noch im Spiel ist, viel viel mehr. Fängt man mit Heroin an, konsumiert man erst mal unbeschwert. Ab und zu meldete sich bei mir eine Stimme, die dann mahnte, dass es nicht gut ist was ich mache. Doch diese Stimme der Vernunft bringt man zum Schweigen in dem man schnell was einfährt. Solange, bis dann die Ersparnisse weg und die Wertsachen verkauft waren. Alle bisherigen Freunde und Bekannten, die nichts mit Heroin zu tun hatten, haben sich von mir abgewandt. Von den neuen Kontakten konnte man nichts erwarten, die waren selber meist pleite. Und bei Heroin gibt’s nur Ware gegen Geld. Aber woher nehmen?
Eine völlig neue Situation, der sich jeder Heroinkonsument ab einem gewissen Punkt stellen muss. Solange noch Geld da war oder Leute, die mir was geliehen haben, konnte ich mich beruhigen, indem ich mir einredete dass ich das Geld schon irgendwie auftreiben könne. Aber nachdem ich meine Eltern noch mal angepumpt hatte und das ALG weg war musste ich aufhören mit dem Zeug oder irgendwie einen Weg finden Geld zu machen.
Geld leihen war ja nicht mehr, denn es gab niemand der mir auch nur eine müde Mark borgen würde. Eine andere Art an Geld zu kommen als es zu leihen, ist es direkt von anderen zu "erbitten" ohne es zurück zu zahlen. Das heißt nix anderes, als "schnorren" oder eben "betteln". Doch dazu muss man der Typ sein, dem dann die Reaktionen der Angeschnorrten am A.... vorbeigeht. So bin ich aber nicht, genauso wie ich nicht erkenne wen ich mit Erfolgsaussichten anschnorren kann. Auch konnte ich keine Geschichte, wozu ich das Geld brauche, erzählen und dabei ein freundliches Gesicht machen. Ich konnte das nicht.
Durch Arbeit würde ich auch nicht genug Geld zusammen bekommen. Abgesehen davon war ich auch gar nicht mehr in der Verfassung, einer geregelten Arbeit nach zu gehen.
Also bliebt nur der Weg in die Kriminalität. Die leichten Straftaten wie Diebstahl oder Betrug, sind die häufigste Art der Geldbeschaffung, neben der Prostitution und Dealerei. Prostitution ist jedoch bei uns Männern nur für einen ganz geringen Prozentsatz akzeptabel. Und durchführbar für einen noch geringeren Teil, denn du musst "jung und knackig" sein. Ich habe diese Möglichkeit für mich nicht mal theoretisch in Erwägung gezogen.
Für die Dealerei zählen andere Eigenschaften. Da sind Disziplin, Durchsetzungskraft, Durchhaltevermögen und Unnachgiebigkeit gefragt. Besonders die Unnachgiebigkeit gegenüber Kunden, die alles billiger haben wollen und gegenüber dir selbst, denn es geht schnell mit dem Eigenbedarf. Am Ende, wenn das Dope alle ist, brauchst du immer wieder das Einsatzkapital um erneut so viel zu kaufen, dass eine Gewinnspanne entsteht. Eine Gewinnspanne allein mit strecken, also mit dazumischen von Koffein und Farbstoff, zu erreichen, bringt unzufriedene Kunden. Also ohne das Einsatzkapital kriegst du bei der Connection im Normalfall kein neues Dope. Denn im Gegensatz zum Kokainhandel gibt es beim Heroin nix auf Kommission. Ist man pleite bleibt eben nur Diebstahl oder Betrug als risikoarme Finanzquelle.
Mehr Risiko einzugehen ist immer eine Frage von "Wieviel habe ich zu verlieren?". Ich habe erlebt, dass da schon bei meinen Bekannten ganz unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Ich kannte allein drei Leute, die ihre Lebenssituation als so ausweglos einschätzten, dass sie Banken überfielen.
Ein anderer überfiel den Juwelier „Wempe“, direkt an der Hauptwache und entkam. Genauso wie die anderen drei, wurde er ein paar Wochen später verhaftet. Für solche Delikte, bewaffneter Raub sieht der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren aufwärts vor. Nein, das kann ich nicht verstehen, da kapituliere ich lieber vorher und melde mich zu Entgiftung und Therapie an. Denn zu solch einem Zeitpunkt, an dem es nur noch um Vermeidung von Entzug geht, hatte bei mir das Junkie-Leben längst den Reiz der ersten Zeit verloren.
Zurück zu der Frage "Wieviel habe ich zu verlieren?". Die Freiheit hat man also zu verlieren. Wenn ich das jetzt so bedachte, kam ich immer zu dem Schluss, dass ich also genau die Zeit aufs Spiel setzen kann, die ich für eine Therapie bräuchte. Im Idealfall bekäme ich, Therapie statt Strafe vorausgesetzt, sowieso eine Therapieauflage. Also geht es hier allenfalls um ein halbes Jahr. Also Diebstahl und Betrug.
Beim Betrug geht es darum ein bestimmtes Wissen oder eine Täuschung so anzubringen, dass man sich auf Kosten Dritter bereichert. Weil da jedoch sehr oft ein Kontakt mit dem Opfer meistens notwendig ist damit der Betrug gelingt und weil auch meistens eine genaue Vorbereitung erforderlich ist, waren das seltene Gelegenheiten die ich für eine Durchführung bekam.
So hat sich der Diebstahl bei mir immer wieder herauskristallisiert. Auch aus einem anderen Grund, denn in meinem Bekanntenkreis waren ein paar Jungs, die schon seit Jahren ihren Lebensunterhalt mit Diebstahl bestritten. Wir kannten uns gut, ich hatte ein Auto und sie den Plan. Dass sie sich mit mir wieder zusammen taten lag daran, dass sie seit kurzem auch bei harten Drogen angekommen waren. Schon Jahre vorher, als ich noch arbeiten ging, hab ich gesehen, wie sie zum Teil an einem Tag so viel Geld machten, wie ich in einem ganzen Monat verdiente. Allerdings geht das nicht, indem man einer Omi den Geldbeutel aus der Handtasche klaut, auch nicht beim REWE den Bacardi oder die Stange Zigaretten. Nein Bottles und Kippen standen da nur als Verlegenheitsbeute auf dem Plan. Zum Beispiel fürs Fahrgeld oder fürs erste Dope gegen den Turkey. Denn so eine Flasche brachte ja nix groß ein, und ich wollte nicht gleich am nächsten Tag wieder losziehen.
Für uns waren die Sachen interessant, die von den wachsamen Verkäufern und Detektiven nicht als primäres Ziel eingestuft wurden. In Vitrinen schlummerten die teuren Waren scheinbar unerreichbar für Diebe. Es waren Videokameras, Fotoapparaten, Uhren und Schmuck usw. Diese Vitrinen hatten aber die große Schwäche, dass es nur wenige verschiedene Schlüssel, für eine größere Anzahl von Vitrinen gibt. Hatte man mehrere Schlüssel, die oft irgendwo im Kassenbereich herumlagen, gesammelt so konnte man die Vitrinen überall aufschließen. Es waren die Achtziger Jahre und Überwachungskameras gab es nur ganz selten.
Wir sind also morgens zu zweit oder zu dritt ins Auto und weg aus Frankfurt. Am besten in die Nähe nach Darmstadt, Gießen und Mainz, gerade mal eine Stunde Fahrt. Dort gings dann in die Elektromärkte und Juweliere. Vitrinen abchecken, Schlüssel heraussuchen. Dann gezielt vorgehen. Verkäufer ablenken, Vitrine verdecken und aufschließen. Gerät raus unter die Jacke. Dann zuschließen, das war ganz wichtig. Dann lenkt wieder einer ab und die andern gehen mit dem Gerät raus. Dann um ein paar Ecken und abchecken , ob jemand folgt. Erst dann zum Auto. Das Ganze noch zweimal in anderen Läden, vielleicht sogar bei einem Juwelier und dann, nach drei Stunden, ab nach hause. Aber wir waren halt auch öfters quer durchs Land und schon mal 8 Stunden lang unterwegs. Da biste dann auch erst mal bedient. Verkaufen musste die Beute auch noch. Aber wenn du dann am späten Abend 500 DM oder mehr allein für dich in der Hand hattest, war's wieder OK. Doch es gab auch Tage da hattest du dann eben nur ein Hunni, oder noch schlimmer - garnix in der Hand und obendrein eine Anzeige am Hals. Das waren Tiefpunkte, wo man sich am liebsten zum Telefon gegriffen und sich zur Entgiftung angemeldet hätte. Für mich als jemand, der das nicht schon seit seiner Jugend macht, war ohnehin schon die Anspannung, nicht erwischt zu werden purer Stress. Das kurze Hoch, wenn was geklappt hat, wich schon schnell wieder der Angst, dass ein Detektiv gefolgt ist, oder die Polizei bereits am Auto wartet. Die anderen machten zum Teil Witze darüber was ich schon mal gar nicht verstand. Sie nahmen das Ganze überhaupt sehr locker, belustigten sich auch über die Blödheit der meisten Detektive, die sie immer sofort erkannten. Für mich waren so viele Leute im Laden, ein ungeordnetes Gewuhsel, ein Kommen und Gehen, gar nicht einzuordnen wer ist Kunde, wer ist Verkäufer, wer ist gar ein Detektiv. Wie sehen Deteks denn überhaupt aus und wie erkennt man sie. Gut, es gibt ein paar Verhaltensweisen, die passen so nur zu Detektiven und sind aber auch manchmal für unerfahrene Ladendiebe typisch. Doch genau das, in so kurzen Augenblicken zu erfassen, blieb mir auch nach Monaten verwehrt. War auch nicht nötig, denn die anderen hatten es genau im Blick, wann man zugreifen musste, ohne gesehen zu werden.
Das ganze ging so eine ziemlich lange Zeit, über ein Jahr. Es war dem Verlust meines Autos geschuldet, dass diese Epoche nun endete. Die anderen hatten dann schnell andere Leute gefunden die da gerne mitmachten und ein PKW besaßen. Ich glaube die machen das heute noch, obwohl ich immer mal von Haftstrafen hörte, die sie verbüßen mussten. Denn damals setzte dann, im Zuge der Digitalisierung, eine allgemeine Aufrüstung mit Kameras ein. Zuerst bei den Juwelieren, dann in Kaufhäusern. Dann sogar außerhalb der Kaufhäuser. Für mich begann nun die intensivste Zeit meiner Sucht. Ich bin nach einigen Monaten, in denen ich mich mit Gelegenheitsgeschäften, Gelegenheitsjobs und Dealerei über Wasser hielt, obdachlos geworden, mitten in Frankfurt. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht, noch mal aufschreibe.
So, für heute merke ich zusammenfassend ist alles mit sehr zwiespältigen Gefühlen verbunden. Wenige Gute Augenblicke vernebeln im Nachhinein ganz oft die ganzen Zwangslagen, in denen ich immer irgendwas machen musste, was mir sonst eigentlich überhaupt nicht in den Sinn gekommen wäre. Irgend was, das bei mir immer wieder höchstes Unbehagen auslöste. Momente in denen ich mir sagte, so geht es nicht weiter, ich hasse es so zu leben. Diese ungeheure Energie, die ich aufbrachte, ein Ziel zu verfolgen, auf einem Weg der mir überhaupt nicht behagte und mich immer wieder Sachen tun ließ, die mich einen Haufen Überwindung kosteten, diese Energie habe ich bei mir jetzt in der abstinenten Phase in den neun Jahren, leider nicht entdecken und wecken können.
Stefan F