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Interview über meine Drogenvergangenheit
Hallo miteinander!
Ich wurde letzte Woche gebeten, mich für eine Schülerzeitung interviewen zu lassen. Ich fand die Fragen gut gewählt und möchte deshalb das Interview hier im Forum veröffentlichen (die Frage, wie ich es schaffte aufzuhören, fehlte leider).
Interview mit Stefan F.
Sz.: In welchem Alter haben Sie angefangen Drogen zu nehmen?
SF: Ich nehme jetzt mal den Alkohol dazu. Da war ich 16, 17 als ich ein bedenkliches Trinkverhalten entwickelte. Mit 18 fing ich zu kiffen an und tat dies bereits ein paar Monate später täglich. Dafür hab ich dann nicht mehr so oft gesoffen. Mit 24 nahm ich dann Speed und Koka. Zwei Jahre später kam ich dann schließlich zum Heroin. Mit 27 Jahren war ich abhängig vom H schnupfte es zunächst und injizierte es dann ein halbes Jahr später. Zusätzlich begann ich dann noch Benzodiazepine nehmen, also Valium in stärkerer Form ud über einen sehr langen Zeitraum.
Sz.: Wie ist es zu wissen, dass man abhängig ist?
SF: Dazu muss ich zunächst mal den Begriff „Abhängigkeit“ in Bezug auf Drogenkonsum erklären. Da gibt’s die psychische, also seelische Abhängigkeit und es gibt die physische, körperliche Abhängigkeit. Beim Kiffen, bei Speed und Koka, bei XTC und LSD ist es ja so, dass man, wenn man wieder abgetörnt ist, gerne wieder was einfahren will. Selbst wenn nach wochenlangem Konsum dann auf einmal nichts da ist, findet man sich damit ab, heute gibt’s nix, morgen ist auch noch ein Tag. Man hat höchstens schlechte Laune. Das funktioniert so nicht beim Heroin. Schon nach ein paar Wochen merkte ich, was körperliche Abhängig bedeutet. Ich glaube so stellt sich das niemand vor und ich hatte es unterschätzt. Das fühlte sich dann zwar sch… an, aber ich meinte ja jetzt gefunden zu haben wonach ich immer suchte, es muss halt nur immer was da sein. Schon hatte ich mich selbst ausgetrickst und mir meine Situation schön geredet. In Momenten des Zweifels konnte ich mir ja immer noch einreden, „wenn alle Stricke reißen gibt’s ja noch Therapie-Einrichtungen, in denen ich meine Abhängigkeit los werden kann.“
Sz.: Wie hat sich ihr Umfeld zu ihrer Abhängigkeit geäußert?
SF: Nun, das war von Person zu Person sehr verschieden. Ich hatte sehr viele Bekannte, von denen ein erheblicher Teil gar keine Drogen nahm und auch nur bedingt über meinen Umgang mit Drogen Bescheid wusste. Die, die es wussten nahmen meist selbst welche. Einige waren jedoch wirklich entsetzt, dass ich jetzt Heroin nahm. Zum Teil boten sie mir ihre Hilfe an, falls ich da nicht mehr klar kam oder aufhören wollte. Andere brachen den Kontakt ab.
Meine Eltern haben das mit den Drogen irgendwie rausgekriegt. Sie bekamen auch mit, dass ich nicht mehr zu meiner Umschulung ging und dass ich dort rausgeflogen bin. Meine Eltern, in Bezug auf Drogen durch meine Schwester leidgeprüft, stellten mich in Anwesenheit des Pfarrers zur Rede. Nach dem Austausch von Vorwürfen, meldete sich der Pfarrer zu Wort. Man müsste jetzt nach vorne schauen und ich müsste mir helfen lassen. Er hätte schon mehr Leuten in der gleichen Situation geholfen. Er gab uns eine Karte mit ner Telefonnummer und Adresse. Damit ich „geheilt“ werden kann solle ich dorthin gehen. Nachdem für meine Eltern wieder mal eine Welt zusammenbrach, wollten sie natürlich an eine solche Heilung glauben. Doch das der Anfang einer langen Reihe von Enttäuschungen. Sie unterstützen mich noch eine Zeit lang, dann jedoch glaubten sie dass das der falsche Weg sei.
Sz.: Was denken sie warum sie süchtig wurden?
SF: Eine gute Frage, die ich mir schon tausendmal gestellt habe. Ich kam im Laufe der Zeit zu verschiedenen Ergebnissen. Letztendlich bin ich heute der Auffassung, dass es ein Zusammenspiel mehrere Faktoren ist.
1. Da wären zunächst meine Gene; es hat sich herausgestellt, Kinder von Eltern mit Suchtproblematik sind statistisch gesehen selbst gefährdet. Auch Kinder von Eltern, die durch ein Verlusterlebnis in der Kindheit geprägt sind. Beides trifft auf meinen Vater zu.
2. Auch meine Kindheit und mit welchen Leitbildern ich aufwuchs. An meinem Vater sah ich, wie widerwillig er morgens zur Arbeit ging. Wenn er nicht schon angetrunken heimkam, dann hat er spätestens 1jetzt sein erstes Bier getrunken. Die bedrückende Zeit auf der Arbeit „berechtigt“ also den Alkohol(Drogen-)konsum.
3. Meine Neugier und meine Risikobereitschaft trugen dann in dem Milieu, in dem ich verkehrte, zu einigen leichtsinnigen Handlungen bei, die sich als folgenschwer erwiesen. Auch wollte ich ja nie glauben, dass man angeblich nicht mehr aufhören kann. Ich dachte Sucht wäre eine
4. Es gehörte aber auch immer schon zu meinen Charaktereigenschaften, dass ich sehr introvertiert bin und nur schwer auf andere Menschen zugehen kann. Da sind Drogen, besonders Heroin, scheinbar ein prima Hilfsmittel.
5. Nicht zu unterschätzen ist auch das „anders sein zu wollen“, sich für mache interessanter zu machen als ich mich fühlte. Dies rührte von meinen massiven Minderwertigkeitskomplexen her.
6. Das Erlebnis in Gesellschaft Drogen zu konsumieren blieb mir seit den Anfängen mit Haschisch positiv im Gedächtnis. So beeinflusste mich das später bei den Anfängen mit Heroin unterbewusst.
Sz.: Haben Sie selbst gemerkt dass sie Drogen süchtig sind?
SF: Ich wusste schon als Kind, dass mit mir einiges nicht stimmt. Als wir in der 5. Klasse eine Broschüre über Drogen bekamen und darüber sprachen, hatte ich einen seltsamen Moment der Erkenntnis. Über Konsumenten stand da so etwas wie „schwache Menschen, die im Leben gescheitert sind…“. Darin erkannte ich mich anscheinend, obwohl ich erst 10 war. Als ich zum ersten Mal Haschisch konsumierte, habe ich mich überhaupt nicht gefragt, ob ich das machen soll oder lieber nicht. Genauso bei den anderen Drogen. Nur bei Heroin zögerte ich ein wenig. Doch einmal kommt dann immer der Tag, wo Du weißt, wenn Du jetzt nochmal was nimmst, bist Du körperlich abhängig. Einige mal wirst Du widerstehen, doch einmal nimmst es. Du hast es immer gewusst und jetzt ist es passiert. Das ich mir trotzdem meine Sucht schön zu reden versuchte, liegt in der Natur der Sucht.
Sz.: Was hat Sie dazu bewegt, mit dem Drogenkonsum aufzuhören?
SF: Die Entscheidung mit Drogen aufzuhören ist etwas das mir ständig gewärtig war. Ab einem gewissen Punkt merkte ich, wenn ich so weiter mache wird folgendes passieren: entweder ich lande im Knast, oder auf dem Friedhof. Und zwar nicht in 10 oder 20 Jahren sondern nächste Woche oder schon übermorgen.
Sz.: Wieso haben sie sich für einen Entzug entschieden?
SF: Das war gar nicht so schwer. Allein in Heppenheim habe ich zwölf Mal entzogen. Es war immer wieder ein neuer Versuch aus der Abhängigkeit auszubrechen. Die Lebensumstände waren oft zu schwierig für mich um die gewaltige Aufgabe zu bewältigen. Oft reicht nämlich schon ein geringer Anlass aus, um rückfällig zu werden und das große Ziel aus den Augen zu verlieren.
SZ.: Wie lief ihr/läuft ein Entzug ab?
SF: Das ist ganz schwer vorzustellen. Zuerst merkt man nach 12 Stunden eine gewisse Unruhe. Das steigert sich langsam und wird zu eine Rast- und Ruhelosigkeit. Im Geiste geht man alle möglichen Szenarien durch, wie man an etwas Dope kommen kann. Andere Dinge würden sowieso nicht helfen. Dann bekommt man eine Art „Restless Legs“ Syndrom. Man kann die Beine nicht stillhalten. Man kommt ins Schwitzen und hat das Gefühl Tausende von Ameisen krabbeln im Bauchraum herum. Jetzt sind ungefähr 24 Stunden vergangen. Schon das kommt einem ewig vor. Es kommen nun heftiges Frieren und Schweißausbrüche dazu. Ab diesem Zeitpunkt bist du nur noch bedingt fähig, aus dem Haus zu gehen und irgendwas zu erledigen. Es kommen nun 2 Tage da kannst du gar nichts mehr machen. Erbrechen und Durchfall wechseln sich ab. Wenn dann nach 3 Tagen alles raus ist, geht es ganz langsam wieder bergauf. Am fünften Tag kommen die Lebensgeister zurück und man kann wieder unter Menschen und was erledigen. Nach 10 Tagen ist man oberflächlich wiederhergestellt. Bis man wieder so ist, wie vor der Abhängigkeit, kann ein halbes Jahr vergehen.
Sz.: Sind Sie wieder rückfällig geworden?
SF: Allerdings. Und zwar nicht nur einmal. In der vorherigen Frage muss noch ergänzt werden, dass der Entzug immer mit psychisch äußert belastenden Gefühls- und Gemütszuständen einhergeht. Es werden vom Gehirn Signale zur Ausschüttung von Stresshormonen freigesetzt. Man kann tagelang nicht schlafen. Hinzu kommt, dass man im Kopf wieder klar wird. Sofort fällt einem der ganze Mist ein, den man in der letzten Zeit gemacht hat. Deshalb brechen viele eine Entgiftung ab, sobald das Schlimmste überstanden ist. Wenn man es trotzdem schafft, kann noch Wochen später im Anbetracht der schlimmen Vergangenheit und schwierigen Zukunft ein Zustand der Hoffnungslosigkeit eintreten. Das ist bei mir auch oft ein Rückfallgrund gewesen. Wichtig ist bei einem Rückfall, dass man sich sofort Hilfe holt und nicht am nächsten Tag einfach weitermacht.
Sz.: Warum möchten sie mit Schülern über Drogen sprechen?
SF: Es liegt mir einfach am Herz, meine Erfahrungen weiter zu geben. Ich wäre damals als Jugendlicher froh gewesen, hätte mir ein Betroffener von seinen Erfahrungen berichtet. Damals (70er) war man auf Aufklärungsbroschüren der Regierung angewiesen, um seine Neugier zu befriedigen. Doch was da drin stand war genauso vage wie die Aussagen von Eltern und Lehrern. Ein selbst Betroffener ist halt immer der am meisten Glaubwürdige.
Sz.: Wie geht es Ihnen heute/ wie stehen sie heutzutage über ihre Drogenvergangenheit?
SF: Seelisch seit vier Jahren ausgesprochen gut. Ich habe zur mir gefunden und kann mich so akzeptieren wie ich bin. Das war wichtig um Ziele zu finden für die es sich lohnt drogenfrei zu leben. Ich gehe auch seit Jahren in eine Selbsthilfegruppe. Dort finde ich Menschen die meine Situation und Probleme genauestens nachempfinden können.
Mit meiner Vergangenheit habe abgeschlossen. Hadern und Grübeln bringt nichts, auch Vorwürfe und Schuldzuweisungen nicht, denn genommen habe letzten Endes ich die Drogen. Allerdings erzähle ich nicht jedem von meiner Vergangenheit, denn es gibt heute immer Vorbehalte in der Gesellschaft.
Sz.: Haben Sie noch Kontakt zur Drogenszene?
SF: Nein. Ich bin in Frankfurt aufgewachsen, dort süchtig geworden und dann, als klar war, dass ich dort wenig Chancen habe clean zu werden, hier in den Odenwald gezogen. Es ist zwar richtig, dass man fast überall an Drogen kommt, doch wenn man es hier nicht darauf anlegt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, jemand zu begegnen der einem etwas anbietet. Zu alten Weggefährten aus dem Drogenmilieu habe ich keinen Bezug mehr. Wenn ich bei meinen wenigen Aufenthalten in Frankfurt jemand zufällig begegne, wird nach ein paar Worten schnell klar, dass man sich nichts mehr zu sagen hat. Einen einzigen Kontakt pflege ich noch, den kannte ich aber schon vor unserer gemeinsamen Drogenzeit. Mit ihm kann ich über alles reden und obwohl er noch öfters was einfährt, nehmen wir Rücksicht aufeinander.
Sz.: Was raten Sie Jugendlichen, die bereits abhängig sind?
SF: Mein erster Tipp, er möge seinen Konsum überprüfen und einfach mal mit konsumieren aussetzen. Gelingt es nicht, mal eine Woche abstinent zu bleiben, so sollte man Maßnahmen ergreifen. Diese kann übers Internet geschehen. Für den, der ganz anonym bleiben will steht die Möglichkeit offen, bei http://www.drk-shg-online.info/ über sein Problem zu sprechen. Das ist das Online-Forum der Selbsthilfe des Roten Kreuzes Odenwald. Es gibt dort seit Oktober 2016 endlich eine Gruppe für junge Drogenabhängige . Wann Sie stattfindet findet man bei http://selbsthilfe.drk-odenwaldkreis.de/gruppen/ . Falls der Betroffene das nicht will, so gibt es in Erbach am Bahnhof eine Drogenberatung:
Suchtberatungsstelle im Suchthilfezentrum des DRK-Kreisverbandes Odenwaldkreis
Bahnstraße 43
64711 Erbach
06062 60770
Ich weiß, das kostet alles Überwindung, aber gemessen an dem was man dadurch eventuell vermeiden kann, ist das ein Klacks. Ansonsten hilft aber auch immer ein Gespräch mit einer Vertrauensperson weiter, um sein Problem klarer sehen zu können.
Sz.: Wie haben die Drogen Ihren Alltag beeinflusst?
SF: In den Zeiten, in denen ich voll drauf war, muss ich sagen, da waren die Drogen der Alltag. Alles drehte sich um Beschaffung und Konsum. Oft mehrmals am Tag oder gar in der Nacht. Man konnte es sich nicht leisten morgens mal ohne was dazustehen. Alles andere wie Hobbys, Freunde, Ernährung und sogar die eigene Gesundheit wird zweitrangig. In Zeiten gemäßigten Konsums versuchte ich alles unter einen Hut zu bringen, was letztendlich auch immer wieder fehlschlug.
Das Dope will einen immer ganz besitzen.
Sz.: Wie beeinflusst ihr ehemaliger Drogenkonsum sie heute?
SF: Auf verschiedenste Weise, denn eine Folge des Drogenkonsums ist meine Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe einmal die Woche. Eine andere Folge sind Arztbesuche die nötig wurden. Auch werde ich nie mehr auf einer Feier oder in einem Lokal unbeschwert ein paar Bier trinken können, von anderen Sachen ganz zu Schweigen. Ich muss mir immer meiner Sucht bewusst sein, denn ich bin mein Leben lang gefährdet.
Stefan F.
Toll...das du das Interview gegeben hast. Ich bin auch in Schulklassen gewesen und habe aus meinem Leben erzählt.
Für mich war das immer wie eine Selbsttherapie. Es gibt Dinge, die ich nicht vergessen will und für die Schüler wirken solche
Erfahrungsberichte ganz anders als trockener Lehrstoff.
LG Karin
Danke Stefan, das hast du wirklich super gemacht und mir aus der Patsche geholfen. Danke dafür!!! Es gibt mir ein gutes Gefühl, dass du mich bei meiner Öffentlichkeitsarbeit hervorragend vertreten und auch unterstützen kannst, denn die Drogenabhängigkeit kannst du besser bei Jugendlichen vorstellen, denn du sprichst aus Erfahrung. Die Schüler und auch die Lehrer sind jedes Mal fasziniert und tief betroffen, denn selbst "Erlebtes" wirkt eben. Ich hoffe, dass dein Auftritt Schule macht und sich die eine oder der andere GruppenfreundIn aus unseren Gruppen traut, in eine Schulklasse etc. zu gehen und somit aus der Anonymität heraustritt und nach Außen geht. Das macht anderen noch Leidenden Mut!
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