...nur nicht aufgeben!

11.06.2015 09:56 (zuletzt bearbeitet: 11.06.2015 10:26)
avatar  Theodor
#1
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…schon seit Tagen trage ich bohrende Gedanken mit mir rum! Ich versuche nicht nachzudenken, lenke mich auf andere Themen, funktioniert auch, und doch kommt es immer wieder hoch. Irgendwie wartete ich auf Donnerstag (auf meine Gruppe) um diese Gedanken loszuwerden, doch jetzt sind mir die Paar Stunden die es noch dauert zu lang und so sitze nun hier und schreibe.
Am Sonntag war ich mit einem Kumpel auf dem Flohmarkt, einen, wo ich zu meiner Schande sagen muss, den ich aufgegeben habe. Ich meine damit das ich ihm nichts mehr zu sagen habe außer, gehe in die Klink! Wenn er anruft ist er immer besoffen, das schönste sind immer seine Ausreden, (…ich habe meine Zähne nicht an u.s.w). Ich bin inzwischen ziemlich brutal ihm gegenüber geworden, meine damit, ich versuche erst gar nicht mehr ihn zu irgendwas zu überreden. Und ich bin oft wütend, vor allem wenn er versucht mir etwas vorzumachen, ich meine „Hallo“ ausgerechnet mir? Irgendwie bin ich dann richtig beleidigt. Dann sage ich mir wieder: was Maße ich mir da eigentlich an. „Hallo Theodor“ das ist `nu mal die Krankheit! Warst du besser?
Aber zurück zum Sonntag, ich hatte ihm versprochen das ich ihn abholen würde. Als ich bei ihm durch die offene Tür ( jaja die Tür eines Säufers) hinein ging, sahs er auf dem Sofa und versuchte Zigaretten zu stopfen, sah mich an und sagte „ du hast ja ne Ewigkeit gebraucht, ja du hast es noch nicht drauf mit der Fahrerei, stimmt’s? …ich bin mit dem LKW schon viermal um die Erde gefahren! Ich weis wie man fährt.“ Beim letzten mal, als er es mir mitteilte, waren es noch Zwei mal gewesen, dachte ich mir: „ na und, es ist meine Sache wie schnell oder Langsam ich fahre! Ich fahre aber, wie gesagt, und brauch keine Radschläge von jemanden der den Führerschein schon viermal weghatte, komm mach schon ich habe genug Zigaretten dabei!“ „ Theo, die klapse ruft immer lauter!“ „Na dann höhre mal auf sie!“ „Ich kann ja jetzt Urlaub machen.“ er arbeitet ein paar Stunden täglich, morgens, oft erzählte er mir das er dann keinen Alkohol trinken würde, aber immer verzweifelt auf den Mittag wartet. „Dann kann ich gehen und keiner bekommt irgendetwas mit.“ „Oh Mann, jeder weis es, ich habe es schon mehrfach zu hören bekommen.“ „Waas, von wem?“ „Mann was tust du dir da an! Was für ein Stress!“ „Komm wir fahren“ und ich schaue ihn mir an und frage mich ob er wohl auch genug Promille für die nächsten 2-3 Stunden in sich hatte. Am liebsten würde ich ihm sagen das er noch was trinken soll, aber ich weis das er sich das verkneift wenn ich da bin (was für ein Stress).
Im Auto das ewig gleiche Gejammer, "weiste noch früher ( er war auch schon mal vier fünf Jahre troken) …da hab ich da gesessen und du hast gesoffen.
Wenn zwei das Gleiche tun ist das noch lange nicht dasselbe dachte ich mir.
Als wir dann über den Flohmarkt gingen, so voll in der Sonne, sah ich ihm an wie schwer es ihm fiel. Ich erinnerte mich wie oft ich so ne Scheiße hing, `ne ich darf hier nicht trinken die Leute kennen mich und vorm, wer auch immer, darf ich eh nichts Trinken. Mann ich will wieder nach Hause! Ich fühlte mit, und das gefiel mir überhaupt nicht! Am liebsten hätte ich gesagt: Komm trink lieber mal ein Bier, ist ja nicht auszuhalten wie du leidest! Und irgendwie bin ich heute noch sauer mit mir das ich es nicht sagte! Die ganze Woche denke ich schon darüber nach, darüber was ich mir immer angetan habe, wenn ich so drauf war wie er. Alles so grausam und ich kann es heute (damit meine ich auch Heute) nicht verstehen. Vielleicht deshalb diese Wut? Mann du Arsch, ich kann dir nichts mehr erzählen, du kennst das alles, irgendwie (er hat auch schon mehrere Therapien hinter sich) und ich bin wütend.
Es ist trotzdem kein Grund jemanden aufzugeben, und das würde ich auch nie tun, ich kann ihm also immer nur sagen was ich tun würde.
„Also, ich an Deiner stelle würde in eine Entgiftung gehen, wenn ich dann die Möglichkeit hätte mal nachzudenken, würde ich das tun. Ich würde mal nachdenken was ich tun kann um etwas zu ändern. Nicht nur darüber, schon nach fünf Tagen, einen Weg nach Hause gehen zu dürfen zu suchen.
“Also Los Alter, mach dich auf!"

Theodor


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11.06.2015 10:57
avatar  Texi
#2
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Für einen trockenen Alkoholiker ist es immer eine Grat-Wanderung. Es gibt noch Freunde, Bekannte,
Saufkumpane von früher die den Absprung (noch) nicht geschafft haben. Für die eigene Trockenheit ist es besser den Kontakt abzubrechen oder einzuschränken , radikal ausgedrückt aufgeben. Aber das ist nur die eine Seite. Je nach Persönlichkeit ist immer noch ein starkes Loyalitätsgefühl vorhanden. Zuneigung, Treue, Zusammenhalten, Hilfe geben sind ja auch ganz wichtig. Ich fühle mich ganz oft in diesem Spannungsfeld und wenn dann der Verstand nicht gewinnt, fühlt man sich schlecht. Aber wenn das Gefühl gewinnt ist es auch nicht besser. Darüber reden oder schreiben hilft dann beim Sortieren.
Oft schreibe ich es einfach auf ein Blatt Papier oder in den PC und lese es später nochmal durch, die Sichtweise ist dann meistens eine andere.

LG Texi

P.S. .......nein, nicht aufgeben


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11.06.2015 15:16
avatar  Friedel
#3
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Was für eine Quälerei Theo. Diese Zustände kenne ich auch, Freunde besuchen, die noch drauf sind. Ich kann mich noch gut erinnern an eine Freundin?, glaube ich heute nicht mehr, dass es eine Freundin war. Als diese einen Rückfall hatte dachte ich damals die Welt geht unter und ich fiel in ein tiefes Loch, war völlig verzweifelt und versuchte dauernd ihr zu helfen. Ich besorgte ihr auch noch Stoff, versteckt unter einem Berg gebügelter Wäsche (die ich auch gebügelt hatte), die ich ihr zurück brachte, damit es ihr Mann nicht mit bekam. Ach, was war ich doch für ein guter Mensch. In meiner damaligen Gruppe erzählte ich von meiner Verzweiflung und Hilflosigkeit, aber auch von meiner beginnenden Gier, die so langsam in mir hoch kroch, ich hätte so gerne wieder mit gesoffen - aber innerlich wusste ich, dass ich das auf keinen Fall durfte. Mein innerlicher Dialog führte auch zum Erfolg; ich konnte das Glas stehen lassen. Ein Gruppenfreund sagte damals zu mir, Du musst lernen einen gesunden Egoismus für Dich zu entwickeln. Kein Wort davon habe ich verstanden, aber heute schon. Es ist auch ganz wichtig, dass man zu zweit zu einem noch trinkenden Menschen geht. Das einzige was man für einen suchtkranken Menschen tun kann ist, dass wir uns um uns selbst kümmern.
Wenn mir jemand nicht gut tut, muss ich mir gut überlegen, ob ich mich noch weiter quälen möchte. Ich bin kein "Gutmensch", aber ein Mensch, der wach bleiben muss für die eigene Krankheit Alkoholismus.
Aber was erzähle ich Dir Theo, Du hast so viel geschafft in den letzten Jahren und bist, was man ja jetzt auch wieder gesehen hat, in Dir schon sehr gefestigt.
Mach' weiter so, LG Friedel


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11.06.2015 19:19
avatar  Robert
#4
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Hallo Theo,
wenn Ich mir Deinen Beitrag nur durchlese und mal ausblenden würde, daß ich Dich als relativ stabilen trockenen Alkohoholiker (Mehrfachabhängigen) mit klaren Zielen kennengelernt habe, würde ich mir echt Sorgen machen. Diese Situationen sind bei mir schon etwas länger her. Das heißt nicht, daß ich nichts mit nassen Alkoholikern zu tun habe. Vielmehr ist es bei mir inzwischen so, daß ich diese Sitationen mit weniger Emotionen begegne. Das ist ein Eigenschutz. Und wenn ich wieder trinken würde könnte ich keinem mehr helfen. Mein direkter Freundeskreis hat sich auch nach über 10 Jahren soweit gelichtet, daß ich dort kaum noch nasse Alkoholiker habe. Ich kann mich an diese Zeit aber noch gut erinnern. Ähnliches erlebt man ja auch, wenn man sich im Freudeskreis mit anderen Krankheitsbildern (Depression...) auseinandersetzt, und an seine Grenzen stößt. Es ist nicht immer gut, sich diesen Belastungen auszusetzen. Es hat nichts mit bösem Menschen zu tun, wenn man sich als Alkoholiker in den ersten Jahren aus diesen Situationen heraushält. Nicht "Fallenlassen", das kann man sich auch nicht verzeihen. Abstand und nicht zu oft, oder wie Friedel sagt nicht alleine ist auch eine gute Lösung. Diese Situationen richtig einzuschätzen und sich dabei selbst nicht zu überfordern ist schwierig. Weniger ist oftmals mehr. Wenn es ein guter Freund ist wird er von sich aus den Kontakt verringern. Er hat Therapieerfahrung. Wenn er wirklich Hilfe sucht wird er sich melden, nach einer Entgiftung. Er weiß wie das abläuft.
Ich bin in diesen Situationen bestimmt kein Perfektionist. So als "Nicht Nein Sager" habe ich da auch meine Probleme damit, mich zu überfordern. Aber wir sind ja nicht alleine - Ich wünsche Dir ganz viel Spaß in deiner Gruppe.


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